Tierfotografie ist manchmal Voyeurismus


23. - 30. Mai 2022

 

Einerseits wusste ich, dass ich bei einer Fototour in die Waldkatpaten Polens auch vielleicht eventuell möglicherweise Bären sehen könnte, aber wenn, dann sicher nur irgendwo da hinten, da am Waldrand. So dachte ich. Falsch! Die erste Begegnung brachte gleich ein verliebtes Pärchen vor die Linsen. Also, er war mächtig verliebt. Sie war eher noch ein bisschen abweisend, genoss aber seine Nähe. Als das Licht nachließ und die Kameras an ihre Grenzen stießen, versuchte der Dicke, seine Angebetete zu besteigen. Ich habe zum ersten Mal in meinem Leben Bären in freier Wildbahn vor mir und dann gleich so etwas! Ich machte trotz des schwachen Lichtes ein paar Belegaufnahmen. Was wäre es für ein einmaliges Erlebnis, die Paarung der Braunbären auch einmal bei Tageslicht auf den Chip zu bannen. Mein Ehrgeiz war jedenfalls geweckt, ich wollte diese Bilder! Die Bären waren kooperativ und jeden Tag mit von der Partie. Sie kamen sich immer näher, oder besser gesagt, sie ließ ihren Galan immer näher an sich heran. Er war aber auch ein Lieber! Aber zum eigentlichen Akt war es noch nicht gekommen. Hatten wir es verpasst? War alles längst geschehen, wieder im Dunkeln irgendwo im Wald? Am vierten Ansitztag kam dann der Volltreffer! In der beginnenden Abenddämmerung gegen halb acht bei leichtem Regen stand die Bärin und ließ den Dicken gewähren. Was hatte ich nicht schon alles von Bärenhochzeiten gelesen oder gehört! Wild soll sie sein, gewalttätig manchmal und mit Verletzungen verbunden. Es war ganz, ganz anders! Zärtlich war er zu ihr, suchte erst den Körperkontakt, leckte ihr dann ganz vorsichtig den Rücken. Man soll tierisches Verhalten ja nie vermenschlichen, aber er benahm sich wie ein Gentleman, ein Liebhaber. Und wer da sagt, dass Bären keine Mimik hätten, wurde hier eines Besseren belehrt. Nur allzu menschlich war sein Gesichtsausdruck. Beinahe peinlich berührt, fragte ich mich, ob das noch Tierfotografie ist oder schon Voyeurismus. Ein Blick nach links beruhigte mich. Alle guckten wie gebannt auf diese einmalige Szene und leise klickten die Fotoapparate. Auf all diesen Sony, Nikon, Panasonic und Canon waren jetzt Bilder einer Bärenhochzeit festgehalten, nur fünfzig Meter entfernt bei ISO 6.400, F/6.3 und einer 1/100s im Tageslicht aufgenommen. So richtig war das noch gar nicht im Kopf angekommen, was da eben passiert war. Es war aber passiert und wir waren dabei! Wie flüchtig so ein Erlebnis ist, erfuhren wir am nächsten Tag. Beim fünften Ansitz begleitete der große Bär seine Partnerin, aber schon ohne diesen engen Kontakt. Er war einfach nur in ihrer Nähe. Am sechsten und letzten Ansitztag war er weg. Die Bärin erschien allein auf der Bergwiese, fraß etwas Mais und schaute immer wieder unruhig auf die andere Seite zum Wald, wo sich womöglich das Wolfsrudel aufhielt. Einmal richtete sie sich noch auf, um besser sehen zu können, dann verzog auch sie sich wieder in den Wald. Dieses Aufstellen nahm ich als Abschiedsgruß und runde so meine Geschichte für mich ab. Eine einfach einmalige Geschichte von einer Bärenhochzeit!



© FennFotografie 2022 Andreas Buchholz